Ravi, unser Herbergsvater, fragte, was wir denn vorhätten. „Nach Ajmer fahren“. „Was“, er runzelte die Stirn, sein Gesicht verzieht sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Ajmer ist überwiegend muslimisch und ein Wallfahrtsort für Sufisten, denn der Ordensgründer Khwaja Muin-ud-din Chishti hatte hier seine Heimat und eine schöne Moschee ist heute der Anziehungspunkt dieser Stadt. Im Reiseführer steht, dass viele Muslime zum Geburtstag des Ordengründers im Monat Rajab hierher pilgern. Ich recherchiere und komme darauf, dass dieser im Januar 2023 ist. Also frei Fahrt nach Ajmer. Die Skepsis unseres Herbergsvaters verstehen wir als „hinduistisches Unwohlsein“ in einer muslimischen Stadt.
Wir fahren mit dem lokal Bus, dann mit der Rikshaw – irgendwie anders als erwartet um die Innenstadt herum und kommen auf Umwegen dichter an unser Ziel heran. Der Fahrer lässt uns in einem lärmenden Getöse aussteigen, nicht wie zugesagt vor der Moschee. „Weiter geht es nicht“. Wir gelangen in einen wilden Strom von herausgeputzten, aufgekratzten, fahnenschwingenden, muslimischen Menschen. Die Menschenmassen schieben uns weiter in Richtung Moschee durch den Lärm hindurch zur nächsten ohrenbetäubenden Feierlichkeit. Die Straßen sind voller Menschen. Musikanlagen mit riesigen Boxen dröhnen laute Musik in die engen Gassen. Prächtig gekleidete Menschen feiern hier etwas, was können wir nicht herausfinden, wir können die Menschen hier nicht verstehen, akustisch sowie sprachlich.
Auch Anita und ich können uns nicht mehr verständigen. Nur das nehmen wir wahr. Es ist anstrengend – Anita streicht die Segel und sagt: „ich halte es nicht mehr aus“. So suchen wir einen „ruhigeren“ Ort in der Stadt und finden nach ein paar Irrwegen durch den Main Bazar die Ruinen des ältesten Bauwerkes der Stadt. Gebaut als Jaintempel war es dann eine Moschee, heute ein Treffpunkt angereister muslimischer Familien zum Fotoshooting.
Da wir die einzigen „Westler“ hier weit und breit sind, bleibt uns nicht’s anderes übrig, als in dem Fotoshooting mitzumachen. Für die Menschen hier ist es ganz besonders, mit uns auf Fotos zu sein, so ist jede Ansprache hier: „Selfi?“, und schon ist es passiert.
Wir ziehen uns in den letzten Zipfel des Bauwerkes in den Schatten zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Keine Minute Zeit, dann: „Country? Selfi?“. Ich muss schon sehr energisch nein sagen, jetzt reicht es! Und manchmal muss ich auch handgreiflich werden, um die Eindringlinge in meine Privatsphäre abzuwehren. Das ist auch Indien und sicherlich nicht böse gemeint, aber eben eine andere Kultur.
Instagram ist auch hier verbreitet. Vielleicht findet eine/r von Euch eines der vielen Foto mit uns im Netz!?
Wir wollen nun noch den Jaintempel und ein Museum besuchen, in der Hoffnung, dass es dort ruhiger ist. Wir nehmen eine Rikshaw. Bald treffen wir auf eine Barriere. Durchfahrt nur mit Mopeds möglich. Kurz danach, wir laufen zu Fuß, ist eine weitere Barriere aufgebaut, die von einem Polizisten mit Trillerpfeife im Dauereinsatz verteidigt wird. Doch es dringen immer wieder ein paar Mopeds durch die Absperrung, welches Anlass gibt, mit den Mopeds hupend vor der Barriere zu stehen bzw. zu kreisen und die Motoren aufheulen zu lassen. Trillerpfeife gegen Hupen, ein Spektakel, eben Indien.
Für uns sind diese Massen an Menschen, dieses „Aufdringliche“, das Laute, das Hektische, die ansteigenden Temperaturen, kein Ort des Rückzuges in Sicht …… so anstrengend, dass wir die Stadt wieder verlassen. So schnell es geht, zurück in unser so beschauliches Pushkar. An der Kreuzung am Ortsausgang von Ajmer gibt es noch ein paar Geschäfte in denen man Bier kaufen kann … außerhalb der muslimischen Stadt Ajmer und der hinduistischen Stadt Pushkar, in denen es kein Alkohol gibt, bekommt man hier in sich aneinanderreihenden Läden alles an Alkoholika „was das Herz begehrt“. Crazy India! Wir fahren schmunzelnd zurück und denken an die Reaktion unseres Herbergsvaters.